Paradoxon aufgelöst? Bei manchen Parkinson-Patienten lindern Dopamin-Präparate das charakteristische Zittern, bei anderen verstärkt diese Therapie den Ruhetremor. Warum das so ist, könnten nun Forscher herausgefunden haben. Sie entdeckten, dass in manchen Fällen ein hoher statt ein niedriger Dopaminspiegel im Gehirn für das Ruhezittern verantwortlich ist. Dieser Effekt scheint spezifisch für bestimmte Hirnareale und individuell unterschiedlich zu sein. Warum das so ist, ist jedoch noch weitgehend ungeklärt, wie das Team berichtet.
Die Parkinson-Krankheit ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, bei der Nervenzellen zerstört werden. Besonders betroffen sind Neuronen im sogenannten Striatum an der Basis des Großhirns, die Dopamin herstellen – einen unter anderem für die Bewegungssteuerung wichtigen Hirnbotenstoff. Bekannt ist die „Schüttelkrankheit“ daher für ihre charakteristischen motorischen Symptome: Unkontrolliertes Zittern sowie steife und langsame Bewegungen. Beim sogenannten Ruhetremor tritt das Zittern auch dann auf, wenn die Muskeln entspannt sind.
Frühere Studien legen nahe, dass diese Symptome auf einen Dopaminmangel in Teilen des Striatum wie dem Putamen zurückgehen könnten. Sowohl der Botenstoff Dopamin als auch dieses Hirnareal sind für die Bewegungskontrolle und Koordination wichtig.
Warum hilft Dopamin nicht bei allen Parkinson-Patienten?
In der Praxis beobachten Mediziner jedoch ein Paradoxon: Bei manchen Patienten nimmt das Ruhezittern ab, wenn sie mit Dopamin-Präparaten behandelt werden. Bei anderen Patienten zeigen diese Medikamente hingegen keine Wirkung oder sie verstärken den Ruhetremor sogar. „Wir wissen, dass Dopamin beteiligt ist, aber die Art und Weise, wie es den Tremor beeinflusst, ist nicht so klar wie bei anderen motorischen Symptomen“, sagt Marcelo Mendonça von der Champalimaud Stiftung in Lissabon.
Ein Team um Mendonça hat daher die komplexe Beziehung zwischen Ruhetremor und Dopamin genauer untersucht. Dafür analysierten die Forscher Gesundheitsdaten von über 500 Patienten, darunter spezielle Computertomografie-Aufnahmen (DaT-Scans). Diese Hirnscans machen die Neuronen im Gehirn sichtbar, die Dopamin produzieren und freisetzen. Zusätzlich werteten sie Daten von tragbaren Bewegungssensoren aus, die präzise messen, wie stark der Tremor eines Patienten ausgeprägt ist.
Nucleus caudatus als Dopaminquelle identifiziert
Überraschenderweise fanden die Forscher keinen Dopaminmangel, sondern im Gegenteil einen hohen Dopaminspiegel im Gehirn der Parkinson-Patienten, zumindest in einem bestimmten Areal. „Paradoxerweise haben wir entdeckt, dass Patienten mit Ruhetremor mehr Dopamin im Nucleus caudatus haben als andere Parkinson-Patienten“, berichtet Mendonça. Der Nucleus caudatus ist wie das Putamen ein Teil der Basalganglien im Vorderhirn, der für die Bewegungssteuerung wichtig ist. Während das Putamen bei allen Patienten im Test nur noch wenig Dopamin aufwies, scheint der Botenstoff demnach im Nachbarareal weitgehend erhalten geblieben zu sein.
Tatsächlich weisen diese Patienten weniger Dopamin im Nucleus caudatus auf als gesunde Menschen, jedoch mehr als andere Parkinson-Patienten: „Obwohl Patienten mit Ruhetremor Dopamin-freisetzende Nerven im Nucleus caudatus verloren haben, sind bei ihnen tatsächlich mehr dieser Neuronen erhalten geblieben als bei Patienten ohne Tremor“, berichtet Seniorautor Joaquim Alves da Silva von der Champalimaud Stiftung.
Mehr Dopamin, stärkerer Ruhetremor
„Oberflächlich betrachtet scheinen Patienten mit und ohne Dopaminverlust im Nucleus caudatus ähnlich zu sein. Die Bewegungssensoren zeigen jedoch subtile Unterschiede in der Tremorstärke, die in herkömmlichen klinischen Bewertungsskalen übersehen worden sein könnten“, sagt Koautor Pedro Ferreira von der Champalimaud Stiftung.
Zusammen mit den Hirnscans legen die Messdaten der Bewegungssensoren nahe, dass das Zittern umso stärker ist, je mehr Dopamin in dieser Hirnregion vorhanden ist. „Durch die Kombination von Bilddaten mit Messungen dieser Sensoren konnten wir einen klaren Zusammenhang zwischen der Dopaminfunktion im Nucleus caudatus und der Schwere des Ruhetremors feststellen“, so Ferreira.
Zittern tritt auf der „falschen“ Körperseite auf
Beim Vergleich der beiden Hirnhälften, die jeweils einen eigenen Nucleus caudatus besitzen, erlebten die Forschenden eine weitere Überraschung: Je mehr Dopamin in diesem Hirnareal auf einer Seite des Gehirns erhalten blieb, desto stärker war das Zittern auf derselben Körperseite. „Normalerweise steuert jede Seite des Gehirns die Bewegung auf der gegenüberliegenden Seite des Körpers“, sagt Alves da Silva. Beim Ruhetremor scheint es jedoch anders zu sein.
Das könnte entweder am höheren Dopaminspiegel in beiden Nuclei caudati bei Tremor-Patienten liegen oder daran, dass Parkinson jede Seite des Gehirns unterschiedlich stark beeinflusst, vermuten Mendonça und seine Kollegen. Der Verlust beziehungsweise der Erhalt an Dopamin produzierenden Neuronen kann demnach zwischen den Hirnhälften unterschiedlich stark ausfallen.
Individueller Neuronenverlust könnte zu Ungleichgewicht führen
Hinzu kommt: „Der Dopaminverlust bei Parkinson ist nicht einheitlich – verschiedene Patienten können Dopamin in unterschiedlichen Schaltkreisen verlieren“, bemerkt Alves da Silva. Denn die Dopaminzellen in den einzelnen Schaltkreisen sind nicht identisch, sondern produzieren unterschiedlich viel Dopamin.
Je nachdem, welche Zellen bei Parkinson kaputt gehen, könnte beispielsweise bei manchen Patienten ein Ungleichgewicht des Dopaminspiegels zwischen Nucleus caudatus und Putamen im Vorderhirn entstehen, was den Ruhetremor nur bei manchen Menschen hervorrufen könnte. Denkbar sei aber auch, dass Dopamin produzierende Zellen in weiteren, bislang nicht identifizierten Hirnarealen mitverantwortlich sind. „Diese Variation des Zelltypverlusts könnte das breite Spektrum an Symptomen bei Parkinson-Patienten weiter erklären“, sagt Mendonça.
Mehr Forschung nötig für personalisierte Therapien
Nach Ansicht der Forscher unterstreichen die Erkenntnisse, dass Parkinson-Patienten sehr verschieden sind, was ihre Symptome und den Zustand ihrer Gehirnzellen angeht, und daher individuell behandelt werden sollten. In Folgestudien wollen sie die Zusammenhänge zwischen Dopamin und einzelnen Nervenzellen sowie Nervenknoten im Gehirn in Tierversuchen genauer untersuchen.
„Durch die Identifizierung der spezifischen neuronalen Schaltkreise hoffen wir, den Nebel um die Heterogenität der Parkinson-Symptome zu lichten und zu präziseren Behandlungen beizutragen, die die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können“, schließt Mendonça. (npj Parkinson’s Disease, 2024; doi: 10.1038/s41531-024-00818-8)
Quelle: Champalimaud Centre for the Unknown